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Das merkwürdige Verhalten fußballbegeisterter Großstädter zur Paarungszeit

19. April 2009

Gäbe es im Fußball-Frühjahr einen Wettbewerb, der Jahr um Jahr ein Modewort kürte, dann hätte das sagenumworbene „Restprogramm“ gute Chancen. Kaum ein Begriff polarisiert die Branche im Frühlingserwachen so sehr, dass selbst frohe Gemüter die steigenden Temperaturen meiden und zu kühlen Analytikern werden.

Während Frauen werktags gegen 18 Uhr nun im Freien Erdbeeren schälen, Federball spielen und Schafskäse grillen statt „Verbotene Liebe“ anzusehen, haben Männer das Restprogramm auf dem Wlan-fähigen Laptop griffbereit oder managen die von http://www.restprogramm.com ausgedruckte Zettelwirtschaft nebst Grillgebaren. Die Bratdauer jeder Flanke des Hähnchenbrustfilets brutzelt exakt analog zur Perspektive jedes Meisterschaftsanwärters und dessen Perspektive sowie Heim- und Auswärtsbilanz.

Die freundliche Joggerin am Parkrand wird dabei fast gar nicht mehr wahrgenommen, im Gegenteil, ihr Top hat die gleiche Farbe wie Udo Latteks Pullover heute Morgen im Doppelpass.  Gegessen wird nebenbei, denn es geht um nichts mehr als die Meisterschaft und da wird man ja wohl – nein, nicht träumen – sondern rechnen dürfen. Und wer, bitteschön, braucht jetzt noch Sonnenstrahlen?

Was vielmehr interessiert: Verspielt Wolfsburg die Meisterschaft am 31. Spieltag in Stuttgart? Und schlagen die dann auch die Bayern beim Auswärtsschlager am letzten Spieltag in München? Oder tanzt Hamburg nach drei Hochzeiten auch am 23. Mai noch durch bis nachts, weil sie trotz müden Beinen in den letzten drei Runden ihre Gäste aus Bochum und Köln verputzt haben und schließlich auch noch die Frankfurter narrten?

Schnell das Steak umgedreht, wäre es nicht auch möglich, dass die Bayern die Schale holen? Trotz Klinsi-Krise und krasser Klatschen sind es ja nur drei magere Pünktchen, die es aufzuholen gilt. Wären da nicht noch Schalke, Hoffenheim, Leverkusen und eben jene Schwaben, die es zu schlagen gilt. So erscheinen die drei Punkte zwar grundsätzlich nur wie drei Nürnberger auf besagtem Grill. Lässt man jedoch den Geruch des Ruhmes mal außer Acht und konzentriert sich auf die Widersacher, dann werden aus den Nürnbergern schnell Krakauer – und auch die gilt es erstmal zu knacken.

Eigentlich ist es die Saison der verpassten Chancen. Oder der Unbeständigkeit. Führte auch nur einer der Meisterkandidaten eine Beziehung mit der Titelschale – sie hätte längst Schluss gemacht. So einer kann ja eigentlich gar nicht Meister werden und so einen will sie auch nicht. Die Schale will umworben werden, man muss ihr zeigen, dass man sie will. Sich mit ihr beschäftigen. Sonst lässt sie einen nicht ran – garantiert.

So gar nicht ins Bild passen da die Wolfsburger. In der Hinrunde noch zahnlos im Mittelmaß, haben sie in der Rückserie sprichwörtlich an die Spitze getankt. Erst 10 Siege in Folge und dann am Ende noch den Meistertitel? Und das, obwohl die Champions League erst für nächstes Jahr anvisiert wurde und Magath beim 5:1 gegen München in der Schlussphase den Torwart gewechselt hat? Das wäre ja wie eine Freundin, die einem morgens das ausgedruckte Restprogramm zum Kaffe serviert, mittags Steaks einkauft und diese dann nachmittags im Park grillt, während man endlich mal wieder die Sonne genießen kann. Fast zu schön, um wahr zu sein.

Hasta la vista, Bayern

9. April 2009

Eine Nacht und ein Vormittag sind nun verstrichen nach der historischen Schmach des FC Bayern. Man werde jetzt erst einmal eine Nacht darüber schlafen, war zu hören. Und: „Es gilt jetzt, in dieser Situation rational zu bleiben und die Dinge nicht zu überdrehen, vor allem keine spontanen unsinnigen Entscheidungen zu treffen.“ Also haben wir den Herren Rummenigge und Hoeneß gehorcht, wir haben eine Nacht darüber geschlafen. Wir haben nichts überdreht, im Gegenteil: Wir sind heute morgen aufgewacht, haben uns kurz die Augen gerieben und sind zur Arbeit gefahren; und haben irgendwie die ganze Zeit gehofft, dass wir diesen Horror von gestern Abend, diese grauenvollen 45 Minuten deutscher Fußballgeschichte, irgendwann im Halbschlaf zwischen erster und zweiter Tiefschlafphase geträumt haben. Doch nach und nach kommen die Bilder wieder hoch, die Schockmomente vom Camp Nou, die Anzeigetafel, die das Halbzeitergebnis verkündete: 4:0 für Barcelona. Es war kein Traum, es ist alles bittere Realität!

Man kann nun an vielen Punkten ansetzen. Man kann alles und jeden kritisieren. Und man hat in vielen Punkten vermutlich Recht. Warum etwa führen die Ausfälle von Lahm, Klose und Lucio zu einem derartigen Einbruch? Klar, die drei sind Stammspieler und absolute Leistungsträger. Aber betrachtet sich der FC Bayern nicht selbst als europäische Spitzenmannschaft? Kann es denn wirklich die Essenz eines guten Kaders sein, einen Lahm durch einen Lell ersetzen zu müssen? Oder einen Oddo, der ungefähr so schnell ist wie eine Diesellok, gegen einen TGV wie Henry zu stellen? Kann man zwei überforderten Außenverteidigern als Backup einen 19jährigen Breno hinstellen, der von den Bayern als Riesentalent gepriesen wird, aber nie spielen darf? Entspricht es etwa einem Spitzenteam, den Ausfall eines Stürmers wie Klose nicht nur nicht adäquat ersetzen zu können, sondern gleich gar nicht? Die Antwort lautet: Nein zu allem.

Zweiklassengesellschaft im Camp Nou

Es ist nach wie vor nicht ganz klar, mit welcher Einstellung die Mannschaft in die Partie gestern ging. Zwei Varianten wären denkbar. Die Wahrscheinlichste: Die Spieler der Münchner hatten in Erwartung der – schon im Vorfeld als beinahe unlösbar ausgemachten – Aufgabe bei der spielerisch derzeit weltbesten Mannschaft im wahrsten Sinn des Wortes die Hosen voll. Es wäre nur verständlich, wenn den Herren Lell, Breno, Oddo oder Altintop schon beim Studieren der gegnerischen Aufstellung das Herz in die Hosen gerutscht wäre. Es wäre eher verwunderlich, wenn dem nicht so wäre. Denn spätestens in diesem Moment muss dem ein oder anderen Bayern-Akteur aufgegangen sein, dass er vielleicht doch nicht so gut ist wie er dachte.

Die zweite Variante wäre in ihren Auswirkungen fatal. Jürgen Klinsmann sprach ja vor dem Spiel davon, dass man mit die beste Offensivabteilung habe und in der Champions League sogar defensiv stärker sei als Barca. Könnte es sein, dass die stolzen Bayern insgeheim doch dachten, sie wären vielleicht schon auf einer Ebene mit den ganz Großen Europas? Wenn dem so wäre, dann bekäme die bayerische Lethargie in den folgenden katastrophalen 45 Minuten ein ganz neues Gesicht. Dann ließen sich die unglaublichen Fehlpässe im Spiel nach vorne, der stets bis zum eigenen Fünfmeterraum eingehaltene Respektabstand vor Messi, Henry & Co oder die unglaubliche Langsamkeit im Kopf erklären. Nach dem Motto: Wir gehen mal raus und spielen vor 95.000 wie wir in der Liga gegen Dortmund spielen. Und dann stellt man nach ein paar Sekunden und der ersten dicken Chance für den Gegner fest, dass da ja dummerweise der FC Barcelona steht. Aber lassen wir diese Gedankenspiele. Denn hätten die Bayern sich tatsächlich auf einer Ebene mit Barca gesehen, würde das zeigen, welch katastrophaler Selbstüberschätzung sie in München unterliegen.

Die Spitze ist weit weg

Man tut sich schwer, dieses Spiel zu analysieren. Denn man findet keinen Anfang und kein Ende. Barcelona spielte Weltklasse, schnell, direkt, atemberaubend. Und wahrscheinlich hätte auch ein starkes München klar und deutlich verloren. Aber die Bayern rannten ja nicht einmal, es hatte über die komplette Spielzeit den Anschein, dass das Wort „Kämpfen“ in der Ansprache des Trainers keinen Platz gefunden hatte. Dabei sprach Klinsmann doch noch kurz vor dem Spiel von einem großen Fight, den man Barca bieten wolle. Sicherlich lief das Spiel von Beginn an gegen Bayern. Die Tore fielen viel zu früh und die neuformierten Münchner hatten überhaupt keine Zeit, sich zu finden. Doch das darf keine Erklärung sein dafür, dass man Barca ohne jede Gegenwehr die Bälle ins Tor tragen ließ.

Diese Niederlage war nicht nur das sportliche Eingeständnis des FC Bayern, dass man weit, weit weg ist von der europäischen Spitze. Es war auch die zweite heftige Schmach nach der UEFA-Cup-Halbfinalpleite in St. Petersburg im vergangenen Jahr. Konnte man die letztjährige Niederlage noch mit einem schlechten Tag wegreden, liegen die Dinge diesmal anders. Der FC Bayern hat nach den Einkäufen von Toni und Ribery nicht mehr viel bis gar nichts gemacht auf dem Transfermarkt. Offensichtlich dachte man, es würde schon reichen, ein neues Trainerteam und mit ihm ein neuese sportliches Konzept zu etablieren. Die Folge: Zu viele Ersatzspieler stehen im sowieso schon zu kleinen Kader. Bei allem Respekt vor Hoeneßscher Aufbauarbeit und Klinsmannscher Zuversicht: Lell, Oddo, Breno, Altintop und wie sie alle heißen haben gestern bewiesen, dass die internationale Klasse fehlt. Einige, wie etwa Podolski, Borowski oder Rensing – letzterer dürfte sich im Nachhinein vor Schadenfreude über den armen Kollegen Butt ins Fäustchen gelacht haben – bekamen dazu gar nicht erst die Möglichkeit. Für den Moment ist das sicher besser für sie, doch auch sie blieben in der Vergangenheit allzu oft hinter den Erwartungen zurück. Schlimmer noch: Wenige Tage vorher zeigten dieselben Spieler auch in der Liga in Wolfsburg, dass selbst die Vormachtstellung im eigenen Land in allerhöchster Gefahr schwebt, unumstößlich zu Ende zu gehen.

Zeit für ein neues Selbstverständnis?

Denn es ist nicht anzunehmen, dass der Star des Teams, Franck Ribery, noch lange bleiben wird, wenn er kein international konkurrenzfähiges Team um sich hat. Das wiederum werden die Bayern kaum bieten können, denn dafür müssten weitere zig Millionen investiert werden – die sie nicht haben. Auch den Trainer zu feuern würde wenig Sinn machen. Denn man kann Klinsmann viele Fehler vorhalten, seine Anmerkung, dass er den Kader nicht zusammengestellt hat, muss gehört werden. Und auch das Umsetzen eines neuen Konzeptes in der täglichen sportlichen Arbeit bedarf einiger Zeit. Vielleicht täten die Bayern gut daran, einmal für einige Jahre den eigenen Anspruch herunter zu schrauben und in der Zwischenzeit ohne Druck eine starke Mannschaft zu formen. Zumindest muss man sich eingestehen, dass man international nur Mittelmaß ist und das vermutlich auf Jahre hinaus bleiben wird.

Zementiert wird diese Erkenntnis durch das Ergebnis. Denn das 0:4 war ja gar nicht verdient, ein 0:8 oder gar ein zweistelliges Ergebnis hätte dem Spiel wesentlich mehr entsprochen. Das eigentlich Schlimme ist doch, dass wir hier nicht über 90 Minuten reden, sondern nur über die ersten 45! Nur der Lust der Katalanen am Trainingsspielchen ist es zu verdanken, dass die Bayern am gestrigen Abend so gnädig davon kamen.

Es bleibt abzuwarten, wie die Verantwortlichen in München mit ihren Fehlern der Vergangenheit umgehen. Schon gestern ließ Rummenigge verlauten, wie tief man an der Säbener Straße getroffen ist: „Wir sind ein stolzer Club, dieser Stolz ist heute Abend zum Teil mit Füßen getreten worden.“ Es bleibt ebenfalls abzuwarten, wie der FC Bayern in das Ligaspiel gegen Frankfurt gehen wird. Diese Partie sollte Bayern am besten deutlich gewinnen. Denn wird der Dreier nicht eingefahren, heißt es wohl endgültig: Hasta la vista, FC Bayern!